Wo liegen meine Schwächen?

Neben den Stärken sollte man sich auch immer seiner Schwächen bewusst sein. Und außerdem sind die Schwächen immer sehr viel interessanter als die Stärken – stark sein, kann fast jeder unter den richtigen Umständen. Schwäche zeigen ist nicht so beliebt. 

Aber Schwäche gehört zum Leben dazu und man sollte keine Angst davor haben. Wir haben gelernt, Schwäche als etwas Negatives zu sehen, als ein Mangel an Stärke – warum eigentlich?

Fehlt mir etwas, wenn ich einen anderen Menschen nicht schlagen kann? Fehlt mir etwas, wenn ich nicht in High Heels über das Kopfsteinpflaster rennen kann? Fehlt mir etwas, wenn ich nicht immer geradlinig denken kann?

Und ich meine können im Sinne von fähig sein. Wenn mein Arm mich den anderen nicht schlagen lässt, weil er sich wegen Nervenschaden nicht mehr heben lässt. Wenn meine Beine nicht in der Lage sind, auf High Heels zu laufen geschweige denn zu rennen. Wenn meine Gedanken abschweifen und frei assoziieren und Schleifen fahren.

Es kann einem als Schwäche ausgelegt werden – man sagt ja auch, der Arm ist zu schwach, die Beine lassen nach, Honig im Kopf. Und insgesamt werden Behinderungen als Defizite angesehen. Ja, ich weiß, das ist nicht mehr politisch korrekt. Schließlich erklärt man schon Kindern, dass jeder etwas ganz besonderes ist und jeder eigene Talente hat – und deshalb nennt man behinderte Menschen heutzutage differently abled, anders begabt.

Worte haben Bedeutung. Und ich bin nun einmal körperlich behindert und im täglichen Leben eingeschränkt. Deshalb habe ich einen Schwerbehindertenausweis und keinen differently-abled-Ausweis. Und das ist ok. Das ist nun einmal ein Faktum. Und warum haben wir plötzlich Angst, die Dinge beim Namen zu nennen?

Weil wir Worten eine andere Bedeutung geben. Und neutrale Wörter plötzlich Beleidigungen werden. „Du bist voll behindert“ – so schreit ein Kind das andere an. Und die Erwachsenen erschrecken und sagen, dass man deshalb schnell ein neues Wort erfinden muss. Anstatt den Kindern beizubringen, dass behindert keine Beleidigung ist. Aber die Erwachsenen halten das Wort für negativ, weil es schließlich ein Defizit ausdrückt. Deshalb darf es eine Beleidigung sein.

Behindert ist nicht das einzige Wort, das diese Wandlung durchgemacht hat. Zu meiner Zeit war das spezialisierte Spasti sehr beliebt. Bis heute glauben viele schwul sei eine Beleidigung. Ich frage mich manchmal, wie es dazu gekommen ist. Liegt das nur daran, dass man so wenig Kontakt hat mit anderen Gesellschaftsgruppen, dass die etwas Exotisches, Seltsames sind. Mit denen möchte man sich nicht identifizieren und deshalb kann man eine ihrer Eigenschaften als Beleidigung verwenden?!

Und auch im Berufsleben ist behindert eher negativ besetzt. Das ist jemand, der einem Probleme machen kann. Jemand, der nicht so belastbar ist. Jemand, den wir nicht wollen. Es sei denn, es gibt Geld vom Staat dafür (bzw. man muss ansonsten Strafe zahlen). Dann sind Menschen mit SBA gern gesehen – für die Statistik.

Langer Rede kurzer Sinn: Ja, eine meiner größten Schwächen ist sicherlich mein Körper. Aber ich weiß nicht, warum das negativ sein muss. Ich habe gelernt, langsamer zu tun. Mir Zeit zu nehmen. Gründlicher zu sein. Darauf vorbereitet sein, dass ich Fehler machen könnte – und das nicht tragisch nehmen, sondern sie zu korrigieren. Ich habe gelernt, dass jeder Moment kostbar ist. Ich habe gelernt, dass die Zukunft ungewiß ist. Ich habe gelernt, nicht aufzugeben. Ich habe gelernt, kreative Lösungen zu finden. Wie kann man das als Defizit ansehen?!

Ich habe noch weitere Schwächen. Vielen bin ich mir selbst bewusst und in guten Momenten denke ich auch darüber nach, wie ich mich in diesen Bereichen verbessern könnte. Oft bin ich ungeduldig mit anderen Menschen. Wahrscheinlich, weil ich meine Zeit voll ausnutzen möchte. Das ändert aber nichts daran, dass das nicht nett ist. Wenn ich mir Zeit nehmen darf, dann darf sich der andere auch Zeit nehmen. Und wenn dabei meine Zeit mit genutzt wird, dann muss ich lernen, damit umzugehen – die andere Person hat damit nicht wirklich etwas zu tun.

Ich bin Überpünktlich. Bevor ihr sagt, dass das keine Schwäche ist – wenn die meisten Menschen maximal pünktlich oder eher zu spät kommen, ist das ein Problem. Denn das ist Zeit, die ich sinnvoller nutzen könnte, statt rumzustehen oder -sitzen und meinen eigenen Gedanken nachzuhängen. Deshalb habe ich immer etwas zu lesen dabei, oder ein paar Podcasts auf dem Handy.

Eigentlich möchte ich das folgend gar nicht schreiben, weil es so ausgelutscht ist. Aber leider eben auch wahr. Ich bin Perfektionistin. Wenn ich etwas mache, dann möchte ich es am Besten machen. Und wenn es in meinen Augen noch Verbesserung braucht, dann möchte ich daran weiter arbeiten, bevor ich es jemandem zeige. Aber manchmal braucht man Input von außen, um das Beste aus sich herauszuholen. Und wenn man zu lange an einer Sache hängt und sich darin verbeißt, fehlt einem die Zeit für andere Dinge.

Doch neuerdings habe ich von einer anderen Philosophie gehört: Sobald eine Sache zu 80 % perfekt ist, hör einfach auf. (Dank geht an Hank Green, der damit seine Zeit optimal ausnutzt, und dennoch phantastische Dinge tut.) Klingt erst einmal komisch. Aber wenn man darüber nachdenkt, dann greift auch hier die 80:20 Regel. 80 % sind relativ schnell erreicht, die letzten 20 % dagegen brauchen viel Zeit und Energie. Und diese letzten 20 % sind meist auch gar nicht so auffällig, wie man selbst denkt. Deshalb möchte ich mich bemühen, mehr danach zu streben. Aber der Mensch ist ein Gewohnheitstier und nichts ist so schwer abzulegen wie eine alte Gewohnheit.

Ich habe eine Schwäche, die die meisten kreativen Menschen kennen: Leider schaffe ich es nicht, was meine Phantasie in meinem Kopf erschafft, in der realen Welt mit meinen Händen nachzubilden. Das kombiniert mit meinem Perfektionismus hat mir schon manche schlaflose Nacht beschert. Dabei weiß ich, dass ich das in meinem Kopf gar nicht erreichen kann. Oder nur in den seltensten Fällen. Es ist ein Ideal, dem ich nur entgegenstreben und nahekommen kann. (Danke Plato, halt die Klappe) Dennoch nagt es immer wieder an mir. Aber ich versuche es immer wieder, ich gebe nicht auf. Und das ist ja dann irgendwie auch wieder positiv.

Offensichtlich habe ich Probleme, mich kurz zu halten. Was soll ich sagen? Ich bin Geisteswissenschaftlerin. Wir neigen dazu, zu viel zu reden. Und die erste Hälfte dieses Textes klingt vielleicht so, als hätte ich das Thema verfehlt, aber es war mir seht wichtig, das zu schreiben. Wenn ihr bis zum Ende gelesen habt, bedanke ich mich. Angefangen zu schreiben habe ich am Donnerstag in der Schule. Bin aber nicht fertig geworden. Die letzten zwei Tage kam ich dann nicht dazu, weiter zu schreiben. Deshalb bekommt ihr diesen Post erst heute. Denn ich wollte ja keinen nur halb vollendeten Text veröffentlichen.

Sicherlich vergesse ich manches. Wie gesagt, manches weiß ich auch einfach nicht. Von den Dingen, die mir bewusst sind, habe ich die wichtigsten aufgeschrieben. Und dennoch ist dieser Text so wahnsinnig lang geworden. Eines muss ich dennoch noch dazu schreiben: Ich denke zu viel. Ich habe zu viele Gedanken. Und das lässt sich nicht abschalten. Denn jetzt, wo ich diesen Text abschließen möchte, fällt mir immer noch etwas ein, das ich schreiben könnte. Aber 80 % sind genug – überlegt euch nur, wie lang dieser Text sonst wäre…

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