Wer war mein größter Lehrmeister?

Das ist eine sehr interessante Frage. Ich bin davon überzeugt, dass man von jedem Menschen, der einem begegnet, etwas lernen kann. Und von jeder Situation. Manches davon lernen wir unbewußt und merken es erst sehr viel später. Ohne vielleicht zu wissen, wem wir dieses Wissen zu verdanken haben.

Und im Laufe eines Lebens lernt man sehr viel.

Dabei muss ich an das wunderbare Lied „Father & Son“ von Cat Stevens denken.

It‘s not time to make a change

Just relax, take it easy

You‘re still young, that‘s your fault

There‘s so much you have to learn

Find a girl, settle down,

If you want you can marry

Look at me, I am old, but I‘m happy

I was once like you are now,

And I know that it‘s not easy

To be calm, when you‘ve found

Something‘s going on

But take your time,

Think a lot

Think of everything you‘ve got

For you will still be here tomorrow

But your dreams may not

How can I try to explain,

Cause when I do he turns away

Again it‘s always been the same

Same old story

From the moment I could talk,

I was ordered to listen

Now there‘s a way

And I know

That I have to go

Away

I know, I have to go

It‘s not time to make a change

Just sit down, take it slowly

You‘re still young,

that‘s your fault,

There‘s so much you have to go through

Find a girl, settle down

If you want, you can marry

Look at me, I am old

But I‘m happy

All the times

That I cried

Keeping all the things I knew inside

It‘s hard

But it‘s harder to ignore it

If they were right

I‘d agree

But it‘s them, they know not me

Now there‘s a way

And I know

That I have to go

Ich liebe dieses Lied. Und es steckt so viel Wahrheit darin. Ganz besonders gefällt mir die Zeile „From the moment I could talk, I was ordered to listen“. Da wird so sehr gejubelt, wenn ein Kind endlich sprechen lernt – und dann soll es immer schweigen, besonders wenn Erwachsene miteinander reden.

Wir lernen, dass wir nicht lügen sollen. Und doch tut es jeder. Und ganz besonders gegenüber Kindern: Weihnachtsmann; Osterhase; Spinat macht stark wie Popey; So etwas habe ich nie gemacht, als ich in Deinem Alter war; Ich lass Dich gleich hier stehen und Du kannst nach Hause laufen; …

Wir bringen Kindern bei, dass man nichts von Fremden annehmen soll, und geben ihnen Wurstscheiben beim Metzger und Kekse beim Bäcker. Wir sagen Kindern, dass man nicht mit vollem Mund reden soll, und tun es selbst ununterbrochen. Kinder sollen nicht fluchen, aber Erwachsene machen es am Laufenden Band.

Auch in der Schule lernen wir nicht immer die Wahrheit, habe ich feststellen müssen. Das nennt sich dann „pädagogische Reduktion“. Ich habe zum Beispiel in der Schule gelernt, dass der Apostel Paulus vor seiner „Bekehrung“ (was auch schon das falsche Wort ist, da er ein sehr gläubiger Jude war) Saulus hieß. Und ich wußte es nicht besser und habe es geglaubt. Woher hätte ich mit 9 oder 10 auch wissen sollen, dass der liebe Mann einen Doppelnamen hatte?

Wir wachsen auf, in dem Glauben, dass Mama und Papa unfehlbar und allwissend sind. Manchmal ist es schmerzhaft, zu erkennen, dass sie auch nur Menschen sind.

Wir wachsen auf, in dem Glauben, dass ein Lehrer alles in seinem Fach weiß. Dabei lernen sie selbst nur einen Bruchteil davon.

Wir wachsen auf, in dem Glauben, dass Ärzte Götter in weiß sind. Von Behandlungs- oder gar Kunstfehlern wollen wir manchmal gar nichts wissen.

Im Grunde läuft es darauf hinaus: Wir bringen unseren Kindern bei, dass die Welt aus schwarz und weiß besteht. Tertium non datur. Und im Laufe eines Lebens lernen wir dann, dass es unendlich viele Grautöne gibt. Als Erwachsener schauen wir auf Menschen herab, die die Welt in gut und böse einteilen. Ein weltoffener, gebildeter Mensch muss doch die Abstufungen in der Welt erkennen!

Das ist noch so eine Sache. Wir bringen unseren Kindern bei, dass jeder Mensch wertvoll und etwas ganz besonderes ist. Und dann halten wir uns selbst oft für etwas besseres. „Alle Tiere sind gleich, doch manche sind gleicher“, heißt es in Orwell‘s Farm der Tiere bekanntermaßen. (Dieses Buch zeigt sehr schön – oder sehr grausam – wie sich eine Utopie über Realität in eine Dystopie verwandeln kann)

Wir bringen Kindern bei, selber zu denken – aber nur in gewissen Maßen. Wenn sie dann nicht mit unseren Überzeugungen übereinstimmen, bestrafen wir sie. Denke, aber bitte so, wie ich es für richtig halte. Auf die Spitze getrieben wird uns das in Club der toten Dichter vor Augen geführt. Ich liebe diesen Film. Aber auch Robin Williams‘ Charakter fällt auf diese Illusion herein. Nur seine Art zu denken ist die richtige. Er bildet sich etwas auf seine Nicht-Uniformität ein. Und ist umso schockierter, als sich ein Schüler tötet.

Wir sind von unseren Überzeugungen überzeugt. Das müssen wir sein. Wie ließe es sich in ewigen Zweifel auch leben?! Heutzutage hat das ganz besonders drastische Ausmaße angenommen. Jeder, der nicht mit uns übereinstimmt ist ein Feind. Muss bekämpft werden. Dass dieser andere im Grunde ist wie wir und genauso denkt, im Recht zu sein, kommt uns nicht in den Sinn. Gleiches Recht für alle – solange ich mehr Recht bekomme.

Wer war also mein größter Lehrmeister? Ich würde zwei benennen: Bücher (und manche Filme) und das Leben selbst. Oder um das zusammenzufassen – meiner Meinung nach – der Heilige Geist, der alles inspiriert und durchzieht. Das ist meine Überzeugung, doch jedem steht es frei, anders darüber zu denken.

„Der Mensch erkennt durch den Unterschied“, das hat einer meiner Professoren an der Uni gesagt. Und ich bin zutiefst davon überzeugt, dass das stimmt. Deshalb möchte ich nicht in einer Blase leben, in der meine eigenen Gedanken auf mich zurück reflektiert werden. Ich möchte von anderen Gedanken, Meinungen, Überzeugungen herausgefordert und inspiriert werden.

Das ist heutzutage leider sehr schwierig geworden. Denn sobald es um Unterschiede geht, ist der Haß und die Gewalt nicht mehr weit. Wenn ich sagen müsste, woran die Welt krankt, dann ist es, dass wir nicht mehr durch den Unterschied erkennen. Auch nicht mehr erkennen wollen.

„Der Kopf ist rund, damit das Denken seine Richtung wechseln kann“ Francis Picabia

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